'Zauber in Zelluloid' - Das Frauenblatt 45/1978

 

Zauber in Zelluloid - Thea Fuchs erzählt über die Sternstunden des Films (73)

Vom 1. bis 17. Dezember findet in der Wiener Stadthalle ein grosses Karl-May-Spektakel statt. Die deutsche Karl-May-Bühne Elspe, die mir ihren Inszenierungen alljährlich Hunderttausende begeistert, gastiert mit Pierre Brice als Winnetou an der Spitze eines 80-Personen Ensembles in Wien. Für den "Schatz im Silbersee" wird ein imposantes Bühnenbild mit Westerndorf und Indianerlager vor massiver Felswand, über die sich beim grossen Finale aus zwölf Meter Höhe sogar ein Wasserfall stützen wird, erbaut. Eine Attraktion für Karl-May-Fans im allgemeinen und Pierre -Brice-Fans im besonderen. Zu letzteren zählen heute auch Tausende Jugendliche, die vor reichlich einem Jahrzehnt, als der sympathische Franzose als Winnetou in elf deutschen Karl-May-Filmen geradezu sagenhafte Beliebtheit errang, noch kleine Knirpse gewesen sind. Die Tatsache, dass ein deutscher Filmproduzent bei der Besetzung der Winnetou-Rolle mit Pierre Brice einen Glücksgriff getan hatte, löste damals eine erfolgreiche deutshe Filmwelle aus: Die Karl May-Film-Welle

Pierre Brice hat mehrere Dutzend andere Filmrollen vor seiner "Winnetou-Zeit" und danach gedreht. Keine einzige vermochte sein Winnetou-Image zu zerstören. Es gibt nur wenige Beispiele in der Geschichte des deutschsprachigen Films, die so eindeutig wie dieser Fall Winnetou beweisen, dass einst die grössten Kinogeschäfte mit der Idealbesetzung einer Traumrolle gemacht worden sind. Pierre Brice hat für seine Karl-May-Filme zahlreiche Trophäen - Bambis und Goldene Ottos - eingeheimst. Seit er 1976 und 1977 als Winnetou bei den Karl-May-Festspielen in Deutschland auf der Bühne stand, ist seine Popularität neu aufgeflammt. Er wird in der Stadthallte seinen Fans sozusagen "hautnah" beweisen, dass er für die Rolle des edlen Apachenhäuptlings, mit der er für viele Jahre zum beliebtesten ausländischen Schauspieler des deutschen Films avanciert, nicht nur fabelhaftes Aussehen mitgebracht hatte. Er wird in fulminanten Actionszenen glänzen, für die die deutsche Karl-May-Bühne achtzehn trainierte Pferde und Reiter mitbringt. Die Pferde beherrschen die Technik der Westernfilme, können sich zum Beispiel aus jeder Gangart hinfallen lassen. Das Training der Reiter, einschliesslich Pierre Brice wird ständig von europäischen Top-Cascadeuren geleitet.
 
Ein Fiaker für Winnetou
Als Pierre Brice 1970 für die Dreharbeiten des zweiteiligen Fernsehspiels "Die Marquise von B." (mit Heidelinde Weis) nach Wien kam, hatte er sich vorher von Regisseur Claude Boissol "einen Fiaker am Flughafen" gewünscht. Nicht nur dieser Fiaker, auch eine unübersehbare Menge jugendlicher Fans erwarteten den Karl-May-Film-Helden in Schwechat. "Winnetou" liess sich, überrumpelt, mit buntem Federschmuck dekorieren, rauchte für seine Fans eine Friedenspfeife und flüchtete schliesslich aus dem Fiaker, in dem er nur ein paar Flugplatzrunden gedreht hatte, in eine mehr Schutz gewährende Limousine und ins Hotel. "Howgh - und jetzt für drei Wochen Aufenthalt und Arbeit kein Wort mehr von Winnetou!" sagte Brice und irrte sich sehr, denn keiner der Reporter, die bei den Dreharbeiten auftauchten, kam ohne die Frage: "Werden sie eines Tages wieder den Winnetou spielen?" aus.
Als der fesche Franzose, als Rothaut im ersten deutschen Karl-May-Film "Der Schatz im Silbersee" aufgetaucht war, da wünschten sich Millionen Kinobesucher, dass dieser Winnetou nicht so schnell wieder in den Wigwams ausländischer Filmproduzenten verschwinden möge. Der Wunsch ging in Erfüllung. Einige Jahre lang war der Paradeindiander, der Besieger der Coyoten der Prärie, der zugkräftigste Eroberer der Mädchenherzen zwischen Alster und Donau. Pierre Brice gestand damals: "Diese Rolle hat mich ganz persönlich abgefärbt. Ich liebe den edlen Apachen wie einen Bruder. Ich habe mich dabei überrascht, dass ich pötzlich versuchte, persönlich diesem "Bruder Winnetou" ähnlich zu werden. Dabei habe ich Karl May, bevor ich Winnetou wurde, nicht gekannt. Ich habe allerdings dieses Versäumnis schnell nachgeholt. Vor allem verdanke ich Winnetou, dass ich Deutschland und die deutschen Mädchen gut kennengelernt habe. Aus tausenden Briefen habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass deutsche Mädchen heute viel romantischer als die französischen sind. Sie lassen sich von ihren Träumen davontragen."
Auch der Gegenspieler von Pierre Brice in den Karl-May-Kinoknüllern der sechziger Jahre war ein ausländischer Star: Lex Barker. Als Old Shatterhand erkämpfte sich der Amerikaner in der 46. Filmrolle seiner Laufbahn den grössten Publikumserfolg seines Lebens. Damals schleppten die Postboten ganze Säcke voller Fanbriefe, adressiert an "Old Shatterhand, Berlin", in sein Domizil. Der Karl-May-Filmerfolg übertraf bei weitem noch die erste Glanzzeit des blonden Feschaks Barker, der als 10. Tarzan zwanzig Jahre vorher ins Filmgeschäft eingestiegen war. Obwohl er nach Johnny Weismüller der populärste Tarzan gewesen ist, ging Barkers Stern erst wirklich in Deutschland auf.
54 Jahre war Lex Barker alt, als er 1973 starb. Ein Herzschlag hatte den Kinohelden auf der belebten New Yorker Lexington Avenue tot zusammenbrechen lassen. Die herbeigeeilten Polizisten erkannten erst bei genauerer Untersuchung, am Namenszug auf der Armbanduhr, wer da vor ihnen auf dem Strassenpflaster lag. Sein 25-jähriger Sohn Zan - aus der ersten von fünf Barker-Ehen - hat nach dem Begräbnis zu den deutschen Filmleuten, die "Old Shatterhand" die letzte Ehre erwiesen hatten, gesagt: "In keinem anderen Land hat mein Vater mehr Anerkennung gefunden als in der Bundesrepublik. Er war sehr glücklich, dass er in einem Tief seiner Laufbahn in Hollywood die Chance bekommen hatte, als Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi noch einmal ungeahnte Truimpfe zu feiern."
Über die Frage, warum die Karl-May-Filme zu einem Zeitpunkt, als das Geschäft mit Traumfabriken überall in der Welt schon sehr schwer geworden war, so sensationell erfolgreich gewesen sind, ist natürlich viel debattiert worden. Regisseur Harald Reinl, der die wichtigsten Karl-May-Filme inszeniert hat, meint: "Gute, zugkräftige Geschichten mit allem Zubehör - von Spannung über Abenteuerromantik bis zu Liebe - haben sich damals als grosse Kinoverzauberer bewiesen. Hinzu kam für den einzigartigen Publikumserfolg die schlichtweg ideale Besetzung der Hauptrollen. Auch das war, bevor sich so vieles im Filmgeschäft geändert hat, ein letzter Beweis für eine jahrzehntelang gültig gewesene Produzentenregel: dass Filmschauspieler in erster Linie von Typ und Gestalt den in ihren grössten Erfolgsrollen darzustellenden Figuren vollkommen adäquat sein mussten. Von dieser Hauptgeschäftsregel, die für einen Clark Gable als Rhett Butler in "Vom Winde verweht" ebenso gegolten hat wie für Grete Garbo als Maria Walewska, Ninotschka oder Zarah Leander in den unvergessenen Zarah-Filmen, hat man sich unbegreiflicherweise distanziert. Das heisst, wenn diese Regel noch ausnahmesweise einmal eingehalten wird und wenn dazu eine wirklich "gute Geschichte" kommt, dann geht geht meiner Überzeugung nach noch immer die Rechnung mit Erfolg beim Publikum auf."
Wie glücklich die Wahl der Stars für die Karl-May-Filme gewesen ist, hat auch die Dritte im Bunde, Marie Versini, bewiesen. Als Apatschenprinzessin Nscho-Tschi sicherte sich die zierliche Pariserin korsischer Abstammung die stürmische Zuneigung von Millionen in Deutschland und Österreich. Nachdem sie als Winnetous Schwester "gestorben" war, holte man sie als schöne asiatische Fürstentochter wieder, als Lex Barker im Gewand Kara Ben Nemsis "Durchs wilde Kurdistan" ritt.
 
Über Nacht ein Star
Als Nachfolgerin der zauberhaften Marie Versini ist schliesslich auch noch Uschi Glas zum Zug und zur Karriere gekommen. Bei einer Party in München lernte der Karl-May-Film-Produzent Horst Wendlandt Uschi kennen. "Schicken sie mir bald ein paar Fotos!" bat er. Uschi Glas dachte: "Partygeschwätz", schickte ihm aber trotzdem ein paar Konterfeis. Sie bekam einen Schreck, als zwei Tage später aus Berlin angerufen wurde und man sie bat, für eine plötzlich vehinderte Schauspielerin eine kleine Rolle im Wendlandt-Krimi "Der unheimliche Mönch" zu übernehmen.
Die Rialto-Produktion gab ihr einen Ausbildungsvertrag, und als Horst Wendlandt die niedliche junge Münchnerin neben Winnetou als "Apanatschi" einsetzte war ihr in der verebbenden Karl-May-Filmwellen als letztem Star der grosse Publikumserfolg sicher.
Uschi Glas heute in Rückschau auf damals: "Ich bin froh, dass ich als eine der Jüngsten in jener Zeit noch miterlebt habe, welche ungeheuren Möglichkeiten im Medium Film einmal steckten. Meine Popularität, dieses einfach berauschende Gefühl, von Millionen Menschen geliebt zu werden, hatte ich Karl May zu verdanken. So etwas kann einem Greenhorn beim Film heute kaum noch passieren..."